21.10.2024: Karwendel: Abseits auf Seebergspitze (und Seekarspitze)

Begonnen von geroldh, 24.10.2024, 16:18

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geroldh

Wieder einmal sind traumhafte Bedingungen für eine Bergtour vorhergesagt! Die Überschreitung von Seebergspitze und Seekarspitze hatte ich bereits länger im Sinn, auch den Pfad entlang des westlichen Ufers vom Achensee. Um an diesem Bergstock "normal" unterwegs zu sein, gibt es die gepflegten und markierten Normalwege, doch der (Wieder)Entdeckungsgeist sollte erneut angesprochen werden. Deshalb hatte ich mir vorab erneut die (Online)Karte ÖK50 mit gepunktet verzeichneten (z.T. historischen) Steigen angeschaut - und parallel noch die OSM, um darin die Existenz dieser Pfade zu verifizieren oder gar weitere Möglichkeiten zu entdecken. Nach etwas kombinieren und überlegen ist als Skizze eine Rundtour in der zerklüfteten Ostflanke herausgekommen, deren Begehungsrichtung, d.h. der Aufstieg, sich aus der Etappe mit der zu erwartenden größten Schwierigkeit (i.d.R. die Steilheit des Geländes) ergibt.

Diese Skizze dem Bergspezl als Touren-Möglichkeit vorgestellt, kommt postwendend zurück, dass es sich mit meinem vorgesehenem Aufstieg um eine Tourenidee handelt, die als "Von der Guggenalm am Huberkar vorbei zur Seebergspitze (T4-T5/UIAA II)" in der (inzw. vergriffenen) Neuauflage vom AbseitsAufwärts-Büchlein ("AA3", S.76ff) enthalten ist. Aha, dank der begleitenden Arbeit des Autors in der OSM-Datenbank habe ich für diesen Tourenteil einen "Volltreffer" gelandet. Meine persönliche Herausforderung in Bezug auf die Orientierung hätte ich - dort allein und "analog" unterwegs - wohl ziemlich sicher im unteren Anstiegsteil in der unübersichtlichen Bergflanke und dem überwiegend im Gelände nicht sichtbaren "Steig" bekommen. Der GPS-Check unterwegs hat hier öfter mitgeholfen, die aufkommenden Zweifel für die Richtung zu dämpfen und eine zeitfressende Suche oder gar größere Verhauer zu unterbinden.
Im Nachgang wurde ein Bericht Abenteuer Seebergspitze .... (14. Mai 2013) von kardirk gefunden, der damals im Aufstieg den ein oder anderen Latschenkampf zu bewältigen hatte...

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Fotostopp am Parkplatz Hechenberg an der Achenseestraße: Unser Aufstiegsrücken noch hinter Nebel

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Fotostopp am Parkplatz Seehof(Kapelle): Die Ostflanke unter der (südl.) Seebergspitze

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Fotostopp am Parkplatz Seehof(Kapelle): Die Ostflanke unter der (nördl.) Seekarspitze

Bei der (Auto-)Anfahrt via dem Inntal lichtet sich bei Maurach der Nebel und nach zwei Fotostopps entlang der Achenseestraße (B181) - dies wäre mit dem ÖPNV nicht möglich gewesen - starten wir bei wolkenlosem, beinahe tiefblauem Himmel etwas nach 9:00 Uhr vom Parkplatz Hinterwinkel (934 m, 5,- €/Tag).

Die Sonne hat bereits den abschattenden Rofan überwunden und wärmt uns sogleich auf dem Gaisalmsteig (früher: Mariensteig) mit seinem geländeorientierten Auf-und-Ab. Nach knapp einer Stunde erreichen wir die auf einem Schwemmkegel liegende Gaisalm mit dem gleichnamigen Gasthaus und Schiffsanleger.

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Die Gaisalm wird von Norden, auf dem Gaisalmsteig kommend, erreicht - dahinter der Bärenkopf

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Es ist Herbst an der Gaisalm - mal sehen, ob es irgendwann dieses Foto im Frühling gibt...

Danach nehmen wir auf dem Uferweg wieder Fahrt auf - und sind an der Stelle, an der wir nach einer alten Steigabzweigung suchen wollen, auch schon vorbei gelaufen. Also wieder etwas zurück und kurzerhand auf dem Schotter von einem Trockenbach hinauf gestiegen bis der gesuchte alte Steig kreuzt. Auf ihm erreichen wir nach wenigen Minuten die kleine Guggenalm (ca. 980 m, 10:30 Uhr), die heute noch gepflegt wird. Dort wechsele ich zumindest in die Short, ansonsten hilft OK-frei, um nicht zu sehr ins Schwitzen zu kommen. Der Kollege wird später weiter oben während des steilen Aufstiegs noch etwas "fluchen" und bei der Mittagsrast den ersten Kleidungswechsel vornehmen.

geroldh

Nach einem kurzen Abstieg füllt der breite und wasserführende Breitlahngraben meine beiden Trinkflaschen - es wird (fast) das letzte Wasser sein, bis wir beim Abstieg wieder in Almgebiet gelangen. Auf der Gegenseite folgen wir Trittspuren in den bewaldeten Ost-Hang hinein, in dem sich dann jedoch jeder Hinweis auf einen Steigansatz komplett verliert. Eine oft funktionierende Möglichkeit, stets im Bereich des Geländerückens aufzusteigen, um oben bei der Verengung an die Latschengasse zu gelangen, würde hier zu einem veritablen Verhauer führen, denn auf etwa 1200 m Höhe erfolgt eine Richtungsänderung nach Süden, um eine kleine Geländekante herum, um zuerst einen kleinen Graben in seinem obersten Teil zu überqueren und später auch noch ein großes, wild zerfurchtes Graben-Gebiet zu durchqueren. Das Ziel der früheren Steigführung ist die kleine Guggenmahd - eine langsam zuwachsende Bergwiese (Niederleger) - auf etwa 1350 m.

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Die "Viecherei" (Steilanstieg durch Bergwald und Latschen) liegt hinter uns - Blick nach vorne...

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Die beiden Hüttenreste auf dem ehemaligen Schafalm-Hochleger sind erreicht - erst mal Mittagspause

Mitunter durch Bruchholz benötigt es auch dort ein GPS-unterstütztes Gespür, um weglos die passende, aber steile Latschengasse zu finden, die uns auf den Hangrücken zurück und im folgenden zum ehemaligen Schafalm-Hochleger mit den beiden Hüttenresten (ca. 1670 m, 12:30 Uhr) - nahe dem Kartenpunkt P1676 - führt. Hier wird erstmal windgeschützt eine längere (Mittags)Pause gemacht und der Einblick in die zerklüftete Ostflanke bewundert.

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Blick zurück auf den Aufstiegsrücken, den Achensee und den Unnutz-Bergstock (mit Guffertspitze)

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Blick voraus auf die Ausstiegsrinne in Bildmitte

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Blick in die Ausstiegsrinne hinein - es ist ausgewaschener Brösel-Kalk

Ab hier ist der weitere (pfadlose) Aufstieg über den Geländerücken, südlich am Huberkar vorbei, vorgegeben - und mit der begleitenden Aussicht hinab auf den langgezogenen Achensee und das gegenüberliegende Rofangebirge ein Genuss. Die "technische" Schlüsselstelle dieser Route ist eine gestufte Rinne, in der weiter oben immer noch ein inzw. starres Seilstück hängt, das ich aber nicht belasten möchte. Mit etwas Fingerspitzengefühl und Kletterübung geht diese Passage, etwa UIAA II, auch ohne dieses Angebot - und wenig später wird direkt am Südgrat der markierte Bergsteig von Pertisau herauf erreicht. Auf diesem gelangen wir alsbald zum Gipfelkreuz der Seebergspitze (2085 m, 14:15 Uhr) hinauf.

geroldh

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Blick zurück auf den Aufstiegsrücken, den Achensee und das Rofan-Gebirge (mit Großglockner...)

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Blick voraus auf die Seebergspitze und die Seekarspitze

Der föhnige Wind ist nicht besonders stark und es läßt sich dort oben wunderbar rasten und die Gipfelansammlung des im Gegenlicht liegenden Karwendel-Gebirges bewundern. Die bessere Sicht jedoch bietet sich auf den Unnutz-Stock und das Rofan-Gebirge hinüber. Es ist so angenehm und so schön hier, aber die Zeit "dreht sich weiter" - Aufbruch um 15 Uhr.

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GK Seebergspitze - Blick nach Norden auf die Seekarspitze

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Blick von der Seebergspitze nach Süden auf das Karwendel-Gebirge - mit Mondscheinspitze (Bildmitte)

Der Übergang zur Seekarspitze (2053 m) besteht aus einem etwas feucht-rutschigen, nordseitig-schattigen Abstieg und einigem Auf-und-Ab mal östlich und dann wieder westlich der Gratschneide. Nach einer knappen Stunde haben wir das dortige Gipfelkreuz erreicht, aber hier bläst und kühlt uns der Wind viel stärker als zuvor. Mit einer kurzen Rast im sonnigen Windschatten ist es auch schon nach 16 Uhr geworden.

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Unterhalb der Seekarspitze: Weitwinkel-Blick auf den Abstiegsrücken, das Auto parkt noch in der Sonne

Auch für den Abstieg habe ich mir eine Alternative ausgedacht: Zuerst folgen wir dem markierten Steig in nördlicher Richtung hinab, um dann unterhalb des schrofferen Gipfelaufbaus etwa auf 1960 m nach rechts in die Ostflanke hinein zu steigen und diese etwa waagrecht zu queren. Tatsächlich finden wir einen (ausgeschnittenen) Durchschlupf durch einen schmalen Latschengürtel und steigen dahinter in den obersten Ausläufer der sog. Seebergmahd ein, einer sich über mehrere hundert Höhenmeter erstreckenden, bereits etwas latschendurchsetzten Grasflanke. Als kurze Schlüsselstelle für diese Route stellt sich kurz darauf der erodierte Beginn einer Rinne dar, die aber mit haltender Unterstützung an Latschenästen - oder alternativ gleich oben durch diese hindurch - einigermaßen gut überwunden werden kann.

Etwa auf Höhe von 1650 m finden wir links/nördlich den Einstieg zu einem Jagdsteig in die Latschen hinein und folgen diesem etwa auf der Höhenlinie zu einer kleinen Grasfläche, um dort auf einem schwach ausgeprägtem Geländerücken weiter abzusteigen. Alternativ sollte auch funktionieren, auf der Mahd weiter abzusteigen und auf Höhe 1500 m oder 1380 m vergleichbare Jagdsteig-Ansätze durch die Latschen in nördliche Richtung zu finden. Das "gemeinsame" Ziel ist die bereits verlassene Koglalm (1286 m).

Auf dem verlassenen Almgebiet führt der alte Almweg an einem Jagd-Hochsitz vorbei, verläuft anfangs auf dem Geläderücken, um dann doch noch stark Höhe zu verlieren und dabei mindestens einmal die neue Almstrasse zu kreuzen. In der historischen ÖK50-Karte ist der heute nicht mehr benutzte und daher verwachsene untere Verlauf immer noch eingezeichnet - etwas tiefer an einem Rast-Bankerl finden wir im Gelände die historische Spur und können dieser einigermaßen gut abwärts auf die Fahrstrasse zurück folgen. Noch ein abschließender Erkundungsabstecher über bereits verlassenes Weidegebiet und mit dem Sonnenuntergang an der gegenüberliegenden Unnutz-Westflanke erreichen wir um 18 Uhr (noch Sommerzeit) das bereits einsam auf dem Parkplatz wartende Auto.

Fazit: Eine interessante Runde für wirklich geübte Berggeher (auch weiblich und divers) mit Trittsicherheit, Orientierungssinn und Klettergrundkenntnissen. Durch den stellenweise steilen Aufstieg ist dieser manchmal eine Viecherei, auch die Hände haben oft Bodenkontakt. Von der Jahreszeit her eignen sich der Vor-Sommer oder die Herbstzeit, der steile Ausstiegsbereich (Ausrichtung: ONO = Altschnee im Frühjahr) durch die Rinne ist mit UIAA II passend bewertet. Die erkundete Abstiegsroute (T4-T5[Stelle]) kann in umgekehrter Richtung eine einsame Alternative hinauf zum Gipfel darstellen und bleibt bei mir im Hinterkopf.