30.07.2024: Brandenberger Alpen: Guffert-Nordwestrinne und -Nordflanke

Begonnen von geroldh, 12.08.2024, 15:03

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geroldh

Der Guffert-Westgrat steht bereits "im Tourenbuch" (22.05.2022), da weckte die Lektüre dieser Aufstiegsmöglichkeit Guffert Nordwestrinne - eine Klettertour für warme Sommertage (Juni 2022) sogleich mein Interesse. Als nun ergänzend auch noch die Guffert Nordflanke - neue Klettertour durch eine eindrucksvolle Felsszenerie (Juli 2024) veröffentlicht wurde, war die Kombination beider Routen für Auf- und Abstieg genau passend, um bei der nächsten stabilen Wetterphase diese Runde auszuprobieren.

Mit dem PKW läßt sie sich natürlich einfach als Tagestour gestalten, doch bei Anfahrt mit dem ÖPNV passt sie - zumal als "Erkundungstour" im überwiegend unbekannten Steil-Gelände - nicht richtig in das verfügbare Tages-Zeitfenster hinein. Eine Woche später, mit den erworbenen Gebietskenntnissen kann ich mir eine spätere Wiederholung dieser Runde innerhalb des ÖPNV-Zeitfensters von ca. 10:15 Uhr (Bus-Ankunft) bis ca. 17:15 Uhr (Bus-Abfahrt) dennoch gut vorstellen.
Situationsbedingt als Solo-Unternehmung geplant, hatte ich meinen Tourenrucksack inkl. Nächtigungsausrüstung mit in die Arbeit genommen, dort Mittags Schluss gemacht und bin von München aus mit der BOB an den Tegernsee gefahren. Dort ist die länderübergreifende Bus-Verbindung #390 (nach Pertisau / Achensee) das entscheidende Zeitelement: Je zwei Verbindungen am Tag pro Richtung, eine am Vormittag, eine am Nachmittag, wobei in der Hinfahrt die VM-Verbindung und bei der Rückfahrt die NM-Verbindung besser mit dem Anschluß-Bus in das Tal nach Steinberg a.R. abgestimmt ist.
So stelle ich mich in Achenkirch an der Abzweigung mit gehobenem Daumen an die Strasse - und werde sogleich mitgenommen. Der Ausgangspunkt ist die Untere Bergalm (ca. 1000 m, kostenpfl. Parkplatz, derz. 6 €/Tag) mit der Bushaltestelle Waldfrieden. Ich schaue mich dort etwas um (ursprünglicher Gedanke der Übernachtung im Tal) und entscheide mich (ca. 16:30 Uhr), die "gewonnene" Stunde bereits in einen gemütlichen Aufstieg am Spätnachmittag zu investieren.

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Das perspektivisch unspektakuläre Guffert-Massiv mit dem unteren Westgrat von der Unteren Bergalm

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Die Aufstiegsspur (UIAA II-III) des nächsten Tages durch die Nordwestrinne. Rechte Gratlinie: Westgrat

So wird nach einem kurzen Stück Forstweg eine Getränkedose in einem schattig-kühlen Bodenloch für die Rückfahrt deponiert und der Beginn des kleinen Steiges aufgesucht, der um den Guffert-Bergstock herum zur Issalm führt. Wenn schon gemütlich, dann barfuß - und weil um diese Zeit unter der Woche hier niemand zu erwarten ist - auch NaturNah ;). So steige ich in der warmen Nachmittagssonne durch schattige Waldpassagen höher und kann später, bei sich öffnendem Gelände, auch Blicke in die geplante Aufstiegszone werfen. Die versteckt gelegene Jagdhütte wird erreicht und damit auch der Trinkwasserbrunnen, der in diesem eher feuchten Jahr mit frischem Wasser aufwartet. Erst verzögert entdecke ich auf der Frontseite unter dem Dachgiebel die angebrachte Überwachungskamera...

Der Rucksack wird deponiert und mit leichtem Gepäck gehe ich in südlicher Richtung auf Erkundungstour, dort soll nach alter ÖK50-Karte ein Steig weiterführen. Nach längerem Suchen finde ich doch noch ein kürzeres Fragment, da er nicht mehr benutzt und gewartet wird, hat die Erosion und Vegetation diese Spur verschwinden lassen. Eine Freifläche im Wald bietet mir besten freien Blick auf die gestaffelten Bergketten in nordwestlicher Richtung - und damit auf den Sonnenuntergang. Im Umfeld der Hütte wird zu Abend gegessen und der Schlafsack auf einer ebenen, vegetationsfreien Stelle ausgebreitet. Selbst um 22 Uhr hat es hier auf ca. 1400 m noch 16..17 °C.

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Sonnenuntergang hinter den Blaubergen

Es war eine ruhige Nacht unter teilweise baumfreiem Sternenhimmel - daher hat sich die Morgenfeuchtigkeit etwas auf den Schlafsack und das umgebende Gras gelegt. An den Berghängen gegenüber ist die Sonne bereits aufgegangen, es wird gefrühstückt, das Gepäck zusammengeräumt und der Rucksack deponiert.
Dann geht's gegen 7:15 Uhr mit griffigen Zustiegsschuhen, aber sonst wieder NaturNah, zur Nordwestrinne hinüber, in der bei leicht kühlendem Fallwind gut aufgestiegen werden kann. Oben sind einige Gämsen unterwegs, sie erkennen einen naturfarbigen Zweibeiner, pfeifen und weichen nach oben hin aus. Das zunehmend steiler werdende Gelände macht mir keine Probleme und der hier am Morgen völlig schattige Aufstieg ist mehr als angenehm. Da ich möglichst lange dem Westgrat fern bleiben möchte, und ich ohnehin über dem großen "teilenden" Latschenfeld etwas weiter links unterwegs bin (ca. UIAA II-III), wähle ich die linke (östliche) Variante - und entscheide mich dort nicht für den diagonalen Aufstieg in den eher bröseligen Schrofen nach oben, sondern für das Genuß-Klettern (ca. II-III) entlang der zahlreichen Wasserrinnen in den geneigten Kalkplatten. Oben, unter der Steilwand angekommen, dann eher waagrechtes queren zurück in das im Bericht beschriebene Gelände mit dem einfachen Ausstieg auf die Grathöhe (beim "Reitgrat", ca. 9:15 Uhr).

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Die Nordwestrinne liegt am Morgen im kühlen Schatten, noch mit leichtem Fallwind

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Oben eine herrliche Plattenkletterei (UIAA II-III) entlang der vielen Wasserrinnen

geroldh

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Rückblick auf den Westgrat - rechts-unten ist der schrofige Ausstieg für linke Variante

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Guffert-Westgipfel und -Ost/Hauptgipfel (Guffertspitze)

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Guffert-Westgipfel mit dem Tegernsee / Mangfallgebirge im Hintergrund

Natürlich ist der Tag noch jung, aber offenbar ist trotz dieses Prachtwetters (noch) niemand unterwegs auf dem klassischen Westgrat, und so habe ich den Guffert-Westgipfel (ca. 2140 m, 9:45 Uhr, derz. kein GB) für mich alleine. Eine längere Pause kommt mir trotz der phantastischen Rundumsicht nicht in den Sinn, denn im Hinterkopf habe ich gespeichert, die unbekannte Nordflanke mit nicht abschätzbaren Zeitbedarf abzusteigen (ggfs. wieder umkehren zu müssen) und am Nachmittag die Bus-Verbindung nach Hause zu nehmen. Einige Fotos müssen somit reichen und eine halbe Stunde später bin ich drüben auf dem Hauptgipfel, der Guffertspitze (2194 m, derz. kein GB), die wie zu erwarten war, bereits Tagesgäste die großartige Fernsicht geniessen läßt.

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GK Guffert-Hauptgipfel / Guffertspitze mit Blick auf das Mangfallgebirge

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GK Guffert-Hauptgipfel / Guffertspitze mit Blick auf Unnütz und das Karwendelgebirge

geroldh

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Blick in die Nordflanke vom Guffert-Hauptgipfel. Im Hintergrund das Mangfallgebirge

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Blick über den Guffert-Ostgrat (Normalweg) hinaus auf das Kaisergebirge & Co

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Der Einstieg (Stoamandl in Felsnische) in die Nordflanke mit dem Guffert-Westgipfel

Auch dort verweile ich nicht lange und habe gegen 11 Uhr den (beschriebenen bzw. mit einem Stoamandl in kleiner Felsnische markierten) Einstieg in die Nordflanke gefunden. Ab hier passt für mich auch wieder NaturNah, trotz des anspruchsvollen Geländes. Der guten Beschreibung zum Trotz habe ich mich mittels dem Ausdruck einiger Luftbilder mit eingeblendeten Höhenlinien (tirisMaps) gut vorbereitet, um diesen Abstieg alleine wagen zu können. Solange ich mich nicht ernsthaft versteige (oder ausrutsche...), bleibt mir der einfachere Aufstieg als Rückzug erhalten. Das viele lose Geröll ist mitunter das Herausforderndste im oberen steilen Abschnitt - die grobe Richtung als Orientierung ist vorgegeben, dazwischen ist schauen und probieren die Devise. Die "Schlucht" kann ich erkennen, aber die "beeindruckende Höhle" ist aus dieser Perspektive nicht sichtbar. Dadurch bin ich nicht rechtzeitig waagrecht gequert, sondern über die grasigen Stellen nach schräg links-unten abgestiegen - und kann etwas über dem weiteren Abbruch dieser schluchtartigen Einkerbung noch via einer kurzen II'er-Stelle in diese hinabklettern. Danach wird das Gelände durch seine gestufte Form etwas unübersichtlich, es dürfte aber richtig sein, an einer kleinen Felsecke, von einer von oben herab führenden Rippe verursacht, vorbei zu traversieren, nur um danach eine ähnliche Geländekonstellation mit dem schulterartigen Fels-Latschen-Köpferl anzusteuern. Mental auf kontinuierlichen Abstieg eingestellt, muß ich es mir - basierend auf der Beschreibung - tatsächlich bewußt machen, dort etwas AUFsteigen zu müssen (die kleine Steinmauer ist die Bestätigung), um danach in eine leicht abwärts gerichtete Querung überzugehen. Die Unsicherheit, den Einstieg in die "richtige" Rinne zu erwischen, wird mit der späteren Erkenntnis ausgeräumt, daß es der große Steintrichter unter einem darüber leicht überhängendem Felswulst ist. Die Steilstellen in der Rinne sind mit etwas Umsicht gut abzuklettern, später plätschert darin auch etwas Wasser, das durch die vorhandene Vermoosung wohl ganzjährig vorhanden sein dürfte. Ich bin nun so auf den Abstieg in der Rinne fixiert, dass ich am querenden Steig vorbei tiefer steige und wenig später, es ist gegen 13 Uhr, an einem Abbruch ausgebremst werde. Zurück kehrend, nach einer Umgehung Ausschau haltend, sehe ich dann seitlich die rot-weiß-rote Steigmarkierung (ca. 1500 m).

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Im mittleren Teil der Nordflanke mit der Ostwand des Guffert-Westgipfels

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Rückblick auf die Nordflanke vom unteren Teil der Abstiegsrinne, etwas oberhalb des Steigs

Auf diesem Steig bin ich an der verfallenen Stubachalm vorbei alsbald wieder bei der Jagdhütte und dem deponierten Rucksack zurück - und nachdem der Abstieg besser geklappt hat als befürchtet, bleibt mir nun ausreichend Zeit dort etwa zwei Stunden im Schatten zu liegen und die Tour nachzusinnieren. Kaum aufgebrochen, möchte es der fast unglaubliche Zufall wohl, daß ausgerechnet hier jemand herauf steigt und wie sich nach einem kurzen Austausch über die Verwunderung dieser Begegnung herausstellt (bei der Begegnung auf dem Wandersteig wär's wahrscheinlich nur ein knappes Servus im Vorbeigehen geworden...), es tatsächlich der Autor der eingangs referenzierten hikr-Beschreibungen ist. Wir müssen jedoch unser Gespräch abbrechen, denn uns beiden läuft die Zeit davon - Stefan ist nun motiviert, heute noch "seine" Route durch die Nordflanke auch im Abstieg zu begehen (am Tag darauf wird er seine Beschreibung im Abstiegssinne ergänzen) und mir, weil im Tal der Bus zu erwischen ist. An diesem warmen Nachmittag freue ich mich über die deponierte, wirklich kühle Getränkedose, die meine Wartezeit beim Umsteigen draußen im Achental verkürzt, denn der Bus #390 hat leichte Verspätung, die er bis Tegernsee (an diesem Tag ist dort Seefest) noch weiter ausbaut, jedoch der EDEKA versorgt mich kurz vor Ladenschluss um 19 Uhr noch mit zwei Flaschen Tegernseer Bier und ausgleichendem Knabbermaterial für die nächste Wartezeit. Nach funktionierendem Umstieg in HoKi bin ich dann mit der einbrechenden Nacht wieder zuhause - ich konnte leider nicht spontan verlängern, aber wie's wohl dem Stefan an diesem späten Nachmittag noch am Guffert ergangen ist?